Bildungspolitische Herausforderungen in der Schweiz
Verfasst von Faical Al Azib
Übersetzt von Anis Mami
A- Hintergrund des Schweizer Bildungssystems
Dieser Artikel befasst sich mit den Sta rken, Schwa chen und Herausforderungen des Schweizer Bildungssystems. Er geht dabei wie folgt vor: Es wird ein Ü berblick u ber die Struktur und den institutionellen Aufbau des Systems gegeben, dann wird es anhand der Empfehlungen des OHCHR und der OECD-Indikatoren fu r die Schweiz analysiert. Fu r das Gesamtversta ndnis und die Lesbarkeit des Papiers ist es wichtig, einen Fahrplan zu erstellen.
Die Schweiz ist ein fo derales und mehrsprachiges Land mit einem dezentralisierten Bildungssystem. Die 26 Kantone (Bundesla nder) sind fu r die Entwicklung des Bildungswesens in ihrem jeweiligen Gebiet verantwortlich. Wa hrend die Kantone fu r die obligatorische Bildung zusta ndig sind, unterstu tzt der Bund die Kantone auch bei der Fo rderung der nachobligatorischen Bildung (allgemeinbildende Schulen, Berufsbildung, Hochschulen). Das Prinzip der Dezentralisierung bedeutet, dass die Kantone und ihre Gemeinden 90 % der o ffentlichen Ausgaben fu r die Bildung finanzieren.
Bund und Kantone sind gemeinsam verpflichtet, ein hohes Niveau an Qualita t und Zuga nglichkeit im
Bildungssystem zu gewa hrleisten. Üm dieser Verpflichtung nachzukommen, hat die Schweiz ein komplexes Monitoringsystem eingefu hrt, das die wichtigsten Herausforderungen identifiziert und die Fortschritte und die Erreichung der politischen Ziele evaluiert. Der Schweizerische Bildungsbericht, der alle vier Jahre vero ffentlicht wird, ist ein Ergebnis dieses Monitoringprozesses.
In der obligatorischen Schule besuchen 95% aller Schu lerinnen und Schu ler die o ffentliche Schule in ihrer
Wohngemeinde. In der obligatorischen Schule gibt es keine freie Schulwahl; die Einschulung ha ngt vom Wohnort der Familie ab. Der Besuch aller o ffentlichen Pflichtschulen ist unentgeltlich. In vielen Gebieten sind die o ffentlichen Schulen ein wichtiges Instrument zur Fo rderung der sozialen Integration der Schu ler in einem bestimmten Gebiet. Das bedeutet, dass Kinder mit unterschiedlichem sozialen, sprachlichen und kulturellen Hintergrund dieselbe Schule besuchen.
Jeder Kanton verwaltet seinen eigenen Lehrplan, einschließlich bestimmter institutioneller und struktureller Elemente wie wo chentliche Ünterrichtszeiten pro Fach und pro Klasse. Es gibt keinen nationalen Lehrplan. Die Bundesverfassung verpflichtet die Kantone jedoch, ihre Bildungssysteme in Bezug auf Struktur und Ziele zu koordinieren und zu harmonisieren. Die Kantone haben deshalb sprachregionale Lehrpla ne fu r die obligatorische Schule entwickelt, die derzeit eingefu hrt werden. Je nach Sprachregion ist die Ünterrichtssprache Deutsch, Franzo sisch, Italienisch oder Ra toromanisch. Das
Sprachenlernen hat in der Schweiz traditionell einen hohen Stellenwert. Wa hrend der obligatorischen Schulzeit lernen die Schu lerinnen und Schu ler neben Englisch eine zweite Amtssprache der Schweiz.
Die Schweiz verfu gt u ber ein starkes Berufsbildungssystem (VET). Es bietet vor allem duale
Berufsbildungsga nge auf der Sekundarstufe II – die eine Lehre mit ein oder zwei Tagen
Berufsschulunterricht kombinieren – und breite Berufsbildungsga nge auf der Tertia rstufe.
Die meisten Jugendlichen treten nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit in eine Berufsbildung ein. Damit erhalten sie eine solide Grundlage und praktische Erfahrung in den meisten Berufen (es stehen rund 230 Berufe zur Auswahl). Etwa ein Drittel der Pflichtschulabsolventen entscheidet sich fu r eine weiterfu hrende Schule oder eine Matura, die sie auf eine ho here Ausbildung vorbereitet.
B- OHCHR Menschenrechtsmechanismen/ Schweiz
UPR
Die Organisation der Vereinten Nationen fu r Erziehung, Wissenschaft und Kultur (ÜNESCO) hat festgestellt, dass in der Schweiz mehrere Maßnahmen zur Sta rkung des Rechts auf Bildung ergriffen wurden. Dennoch stellte sie fest, dass Asylsuchende und Kinder ohne Papiere immer noch Probleme haben, Zugang zu einer weiterfu hrenden Schule zu erhalten. Die ÜNESCO empfahl der Schweiz, die o ffentliche Politik zu versta rken, um sicherzustellen, dass Kinder ausla ndischer Herkunft die bestmo gliche Qualita t der Bildung genießen und dass Kinder ohne Papiere und Asylbewerber Zugang zu Bildung haben, insbesondere auf der Sekundarstufe. Der Ausschuss fu r die Rechte des Kindes hat a hnliche Empfehlungen ausgesprochen. Der Ausschuss fu r die Beseitigung der Diskriminierung der Frau empfahl der Schweiz, die
Diversifizierung der Bildung fu r alle Geschlechter zu fo rdern und die Lehrmittel auf kantonaler und kommunaler Ebene zu u berarbeiten, um die Geschlechterperspektive in den Lehrmitteln sicherzustellen. Sie riet der Schweiz auch, neue Strategien zu entwickeln, um diskriminierende Stereotypen und strukturelle Barrieren zu beka mpfen, die Ma dchen daran hindern ko nnten, die Sekundarstufe zu u berschreiten und sich in traditionell von Ma nnern dominierten Studienfa chern einzuschreiben.
C – Bildung auf einen Blick 2021: OECD-Indikatoren
Chancengleichheit für Schüler*innen aus unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen
Das Programme for International Student Assessment (PISA) ist ein Index, der den Bildungsstand und die
Leistungen von Schu ler*innen aus unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Verha ltnissen (ESCS – Economic, Social and Cultural Status) misst. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Kinder aus dem untersten Viertel des ESCS, die mindestens das PISA-Level 2 im Lesen erreichten, um 32 % niedriger als bei Kindern aus dem obersten Viertel. Diese Bildungslu cke ist gro ßer als der OECDDurchschnitt, der bei 29 % liegt.
Erhebliche Ünterschiede in den Bildungsergebnissen ko nnen zu wachsender Einkommensungleichheit fu hren. In der Schweiz verdienten im Jahr 2019 30 % der Erwachsenen im Alter von 25 bis 64 Jahren mit keinem oder nur unterem Sekundarschulabschluss ho chstens die Ha lfte des Medianeinkommens. Dies ist ein ho herer Anteil als der OECD-Durchschnitt von 27 %.
Geschlechterungleichheiten in der Bildung
In nahezu allen OECD-La ndern und auf allen Bildungsstufen verdienen Frauen im Alter von 25 bis 64
Jahren weniger als ihre ma nnlichen Kollegen; im Durchschnitt entsprechen ihre Einkommen 76–78 % des Einkommens von Ma nnern mit vergleichbarem Bildungsstand. Dieser Ünterschied variiert innerhalb eines Landes sta rker je nach Bildungsniveau als zwischen den La ndern der OECD.
Verglichen mit anderen Bildungsstufen verdienen Frauen in der Schweiz mit unterem
Sekundarschulabschluss am wenigsten im Vergleich zu Ma nnern mit gleichem Abschluss – diese Frauen verdienen nur 77 % des Einkommens ihrer ma nnlichen Kollegen. Frauen mit oberem Sekundarabschluss oder einem nicht-tertia ren postsekunda ren Abschluss verdienen 84 % des entsprechenden Ma nnereinkommens.
Bildung und Migrationshintergrund
Im Durchschnitt der OECD-La nder sind 57 % der einheimischen Erwachsenen ohne oberen
Sekundarschulabschluss erwerbsta tig, verglichen mit 61 % der im Ausland geborenen Erwachsenen. In der Schweiz lag die Erwerbsta tigenquote ausla ndischer Erwachsener ohne oberen
Sekundarschulabschluss im Jahr 2020 bei 71 %, ho her als bei einheimischen Erwachsenen (65 %).
Bei Erwachsenen mit tertia rem Bildungsabschluss sind 92 % der Einheimischen und 84 % der im Ausland Geborenen erwerbsta tig. Erwachsene mit Migrationshintergrund, die in jungen Jahren in das Land gekommen sind, haben oft mehrere Jahre im Bildungssystem des Gastlandes verbracht und national anerkannte Qualifikationen erworben. Ihre Arbeitsmarktergebnisse sind daher in der Regel besser als bei jenen, die erst spa ter mit einem ausla ndischen Abschluss ins Land gekommen sind. In der Schweiz sind 90 % der ausla ndischen Erwachsenen mit tertia rem Abschluss, die vor dem 15. Lebensjahr eingereist sind, erwerbsta tig, verglichen mit 83 % derjenigen, die mit 16 Jahren oder spa ter eingereist sind.
Fazit:
Zusammenfassend la sst sich sagen, dass die Schweizer Regierung ihre o ffentlichen Politiken versta rken sollte, um sicherzustellen, dass Kinder mit Migrationshintergrund bestmo glichen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung erhalten, insbesondere asylsuchende Kinder und Kinder ohne Papiere, vor allem im Sekundarbereich. Zudem sind Programme und Sensibilisierungsmaßnahmen gegen Gewalt, Missbrauch und Mobbing in Schulen zu fo rdern.
Daru ber hinaus sollte die Schweiz die Vielfalt der Bildungswege fu r Ma dchen und Jungen weiter fo rdern,
Lehrmaterialien auf Kantonsebene u berarbeiten und sicherstellen, dass geschlechtersensible Lernmaterialien in allen Kantonen und Gemeinschaften verfu gbar sind.
Quellen:
- Committee on the Rights of the Child. (2021, September 2). Concluding observations on the combined fourth to sixth periodic reports of Switzerland. Last researched on June 2022, from https://uhri.ohchr.org/en/search-human-rights-recommendations
- Eurydice (2020). Swiss Educational System. Last Researched on June 2022, from https://eacea.ec.europa.eu/national-policies/eurydice/content/switzerland_en
- Üniversal Periodic Review (2017). Last Researched on June 2022, from https://uhri.ohchr.org/en/search-human-rights-recommendations
- Education at a Glance (2021). OECD Last Researched on June 2022, from https://www.oecdilibrary.org/sites/cde73ce1-en/index.html?itemId=/content/component/cde73ce1-en