Nuriye Gülmen: Ein sechsjähriger Kampf gegen systematischen Missbrauch

Nuriye Gulmen

Vor fast sechs Jahren wurde die Türkei durch den mutmaßlichen Putschversuch vom 15. Juli 2016 erschüttert. Einen Tag nach dem Putschversuch verhängte die türkische Regierung rasch den Ausnahmezustand und erließ die Notstandsverordnungen Nr. 667-676. Mit diesen wurden vor allem Medien und Journalisten zensiert,[i] dessen Einfluss wurde aber am 6. Januar 2017 in den Anhängen der Verordnung Nr. 679 namentlich auf Tausende Beamte, Polizisten, Angehörige der Streitkräfte, Universitätsprofessoren und Mitarbeiter ausgedehnt.[ii]  Dies führte dazu, dass insgesamt mehr als 150 000 Menschen nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch Zugang zu sozialen Diensten verloren. Des weiteren wurden sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und ihr Leben durch die Anschuldigung der Regierung beeinträchtigt. Ihr Leben wurde dadurch eingeschränkt, da sie sie mit dem Putsch in Verbindung gebracht wurden, der angeblich von Fetullah Gülen, einem türkischen Gelehrten und Geistlichen, verursacht wurde. Gülen lebt seit 1999 in den USA im Exil und weist die Anschuldigungen aus Ankara hartnäckig zurück.[iii]

Eine der Personen, die von den Folgen dieser Ereignisse betroffen ist, ist Nuriye Gülmen, eine ehemalige türkische Professorin der Vergleichende Literaturwissenschaft an der Selçuk-Universität. Gülmen wurde 2012, vor dem Putschversuch 2015, als wissenschaftliche Hilfskraft an die Eskişehir Osmangazi Universität berufen.[iv] Gülmen ist nicht nur Akademikerin, sondern hat viele Erfahrungen mit Aktionismus und juristischen Kämpfen gegen den Missbrauch von Institutionen in der Türkei. Nach ihrer Ernennung wurde sie aufgrund einer politischen Klage 109 Tage lang festgehalten, wodurch sich ihr Studium und ihre Wiedereinstellung an der Eskişehir-Universität verzögerten. [v]  Der Tag, an dem sie wieder zu ihrer Forschungsstelle berufen wurde, war der Tag des Putschversuchs. Dies führte dazu, dass sie am folgenden Tag von Eskişehir suspendiert wurde. Grund dafür waren die neuen Verordnungen, in denen sie, wie Tausende mit ihr, beschuldigt wurde, Mitglied der FETO zu sein. FETO meint die sogenannte Organisation der Anhänger des im Exil lebenden Gulen, welche von Erdogan und seiner Regierung als terroristische Organisation beschuldigt wurde. Dies löste die nächste Phase in Gülmen’s Aktivistengeschichte aus, in der sie seit dem 9. November 2016 jeden Tag vor dem Menschenrechtsdenkmal in der Yüksel-Straße in Ankara gegen ihre Suspendierung und schließlich Entlassung protestierte und beharrlich ihre Stelle in Eskişehir zurückforderte, wo der Hochschulrat seinen Sitz hat, und auf ihre Forderungen eingehen muss. [vi] Gülmen erklärt, dass es sich um eine “revolutionäre Tradition” handelt, bei der es darum geht, Aufmerksamkeit zu erregen und zu bekommen, was man will. In diesem Fall ist ihr Objekt der Begierde die Aufhebung des Ausnahmezustands, die Rückkehr der entlassenen revolutionär-demokratischen Staatsbediensteten an ihren Arbeitsplatz, eine Arbeitsplatzgarantie für die 13.000 wissenschaftlichen Assistenten des OYP sowie Arbeitsplatzsicherheit für alle Beschäftigten in Bildung und Wissenschaft. [vii] Gülmen begann ihren Protest weitgehend auf eigene Faust und wurde insgesamt 26 Mal verhaftet, was auf die zunehmende Aufmerksamkeit von ausländischen und inländischen Zuschauer zurückzuführen ist, die ihre Aktionen verfolgten und ihre Erfahrungen in ihrem Online-WordPress-Blog lasen. Schließlich wurde sie von CNN als eine der acht herausragenden Frauen des Jahres 2016 an ihrem fünfzigsten Tag des Protests ernannt.[viii]

 

Die Aufmerksamkeit, die Gülmen zukam, wurde nach dem Dekret vom 6. Januar 2017 noch vergrößert, als Gülmen aus Eskişehir entlassen wurde. Folge dessen trat sie am 9. März 2017 in einen Hungerstreik ein und somit den nächsten Schritt anging. Während Gülmen zusammen mit dem Grundschullehrer Semih Özakça in Polizeigewahrsam saß, erlebten die Frauen die Auswirkungen der Notstandsverordnungen hautnah mit. [ix] Der Grund für den Streik war, dass verbale Proteste in der Regel zu den Werkzeugen der Aktivisten gehören, die oft nicht genug Aufmerksamkeit von den Behörden erhalten. Jedoch ist ein Hungerstreik eine starke Aktion, die die beteiligten Akteure mit den ernsthaften Gesundheitsrisiken, die auf dem Spiel stehen in eine ähnliche Position bringt, wie das, was Gülmen als “notwendig, um den Widerstand auf die nächste Ebene zu bringen” und um “wirklich Druck auf sie auszuüben, damit sie etwas unternehmen” beschreibt. [x] Als Reaktion auf den Hungerstreik wurde am 2. Mai 2017 eine Anklageschrift beim 19. Strafgerichtshof in Ankara eingereicht. In jener Anklageschrift wurden sowohl Gülmen als auch Özakça beschuldigt, Mitglieder der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) zu sein und an deren illegalen Aktivitäten beteiligt gewesen zu sein. Dies führte zu ihrer Inhaftierung im Sincan-Gefängnis in Ankara am 23. Mai 2017. [xi] Das Gericht befand die beiden für schuldig, weil “eine Nichtinhaftierung der Justiz schaden würde”, was angesichts des Mangels an Beweisen für die erhobenen Vorwürfe widersprüchlich erscheint. Zudem bestreiten die beiden Lehrer weiterhin jede Beteiligung an der DHKP-C. Folge dessen veröffentlichte ihr Anwalt sogar ihre Vorstrafen als Beweis für das Fehlen einer solchen Beteiligung und wirkte somit den Bemühungen von Innenminister Süleyman Soylu und des Forschungs- und Studienzentrums seines Ministeriums, die Vorwürfe zu verfestigen, entgegen.[xii]

 

Es wurde befürchtet, dass den beiden Lehrern weitere Menschenrechtsverletzungen drohen würden, da es Gefängniswärtern und Ärzten gesetzlich erlaubt ist, einzugreifen und einen Hungerstreik, ohne die Zustimmung der Lehrer zu beenden. Sie können auch eingreifen, wenn sie bewusstlos sind, wie es in Artikel 82 des Gesetzes über die Vollstreckung des Urteils Nr. 5275 heißt, was infolgedessen die Meinungsfreiheit verletzen würde und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung führen könnte. [xiii] Während eines Besuchs von Hakan Canduran, dem Präsidenten der Anwaltskammer Ankara, und einiger seiner Kollegen, beklagte Gülmen die schlimme Situation in der sie und Özakça sich befanden, in dem sie Canduran beschrieb, dass sie sah, dass “die Gerechtigkeit genauso schwand wie [ihre] Muskeln”. Diese Aussage gab Gülmen, während sie nicht in der Lage war, ihren Hals ohne Hilfe hochzuhalten, ihre Arme zu bewegen oder einen Stift zu halten. Im Gegenzug forderte Canduran die Regierung auf, den Hungerstreik durch gesellschaftliche Versöhnung zu beenden und mit denjenigen zu verhandeln, die unfairerweise von den Notstandsverordnungen betroffen sind.[xiv] Mitte 2017 reichte das Duo beim Verfassungsgericht und auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Antrag auf Beendigung der Haft ein, mit der Begründung, dass ihr Hungerstreik inzwischen ein offensichtliches Gesundheitsrisiko darstellte. Doch beide Gerichte lehnten ihren Antrag ab, da sie diese Risiken nicht als lebensbedrohlich sahen und die entsprechenden medizinischen Maßnahmen vorhanden gewesen wären, um ihnen zu helfen, falls sie diese benötigt hätten.[xv]

 

Gülmens Gesundheitszustand verschlechterte sich schließlich so sehr, dass sie am 26. September 2017 in eine Insassinenzelle im Krankenhaus in Numune verlegt wurde. Sie wurde dann am 1. Dezember aus der Haft entlassen, als das 19. Schwere Strafgericht sie zu 6 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilte, aber ihre Freilassung unter richterlicher Kontrolle zuließ.  [xvi] Trotz ihrer Freilassung setzten Gülmen und Özakça ihren Protest vor dem Menschenrechtsdenkmal fort, mussten ihren Hungerstreik aber schließlich am 26. Januar 2018 beenden, nachdem eine von der Regierung eingesetzte Kommission zur Überprüfung ihrer Fälle abgelehnt worden war. Stattdessen versuchten sie, ihre Bemühungen künftig auf das nationale Justizsystem zu richten, wobei sie betonten, dass ihr Widerstand nicht beendet sei und weitergehen werde. [xvii] Nach 324 Tagen ihres Hungerstreiks hatte Gülmen einen beträchtlichen Teil ihres ursprünglichen Gewichts von 59 Kilogramm verloren, und wog jetzt nur noch 33,8 Kilogramm, was zeigt, wie ernst ihre Bemühungen um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes und die Achtung ihrer Rechte waren.[xviii]

 

Das nächste Mal stand Gülmen im Rampenlicht, als sie am 11. August 2020 bei einer Polizeirazzia am 5. August im Istanbuler Idil-Kulturzentrum, das von der linken Folk-Band Grup Yurum betrieben wird, erneut verhaftet wurde, wobei die Gründe dafür ungeklärt blieben. [xix] Später im selben Jahr wurden Gülmen und weitere ihrer Kollegen aus der Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft (Eğitim-Sen) ausgeschlossen, weil sie in der Öffentlichkeit als “Yüksel-Widerständler” oder Widerstandskämpfer dargestellt wurden..[xx] Zuletzt hatten die beiden am 4. November 2021 vor dem Verfassungsgericht geklagt, das später ihre Aussage zurückwies. Gülmen und Özakça klagten mit dem Grund, dass die Anklage vom 2. Mai 2017 dieselben Beweise verwendet habe wie eine frühere Untersuchung vom 14. März 2017, die zu ihrer Verhaftung geführt hatte. Diese Anklage wurde aber später abgewiesen und sie wurde unter richterlicher Kontrolle freigelassen. [xxi] Das Gericht wies ihre Klage mit der Begründung ab, dass es Gülmen und Özakça an konkreten Beweisen fehle und deswegen ihre verletzten Rechte nicht geltend gemacht werden könnten. Zudem hätten die beiden nicht alle innerstaatlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, bevor sie ihre Klage einreichten.[xxii]

 

Nuriye Gülmens mutiger Aktivismus macht deutlich, dass die türkische Regierung seit 2016 Hunderttausende von Menschen mit haltlosen Argumenten zu Unrecht ins Visier genommen hat. Diejenigen, die am stärksten betroffen sind und sich entscheiden, sich den Maßnahmen der Regierung zu widersetzen, sind erheblicher Unterdrückung durch Inhaftierung und rechtliche Einschüchterung ausgesetzt. Broken Chalk fordert die türkische Regierung und die zuständigen Behörden auf, ihre Maßnahmen ernsthaft zu überdenken, die dazu geführt haben, dass Tausende von Menschen weder einen sicheren Arbeitsplatz haben, noch die Möglichkeit, das Land zu verlassen und im Ausland Arbeit zu finden. Broken Chalk fordert insbesondere die Wiedereinsetzung von Nuriye Gülmen und Semih Özakça nebst vielen anderen in ihre jeweiligen Positionen im Bildungsbereich. Der Verlust ihrer Arbeitsstellen hat den Zugang und die Qualität der Bildung in der Türkei sicherlich verringert.

 

von Karl Baldacchino

Edited by Erika Grimes

Translated by Vivien Kretz from https://brokenchalk.org/nuriye-gulmen-a-six-year-struggle-against-systematic-abuses/

Sources:

[i] Grabenwarter, C. et al. (2017) ‘Draft Opinion on the Measures Provided in the Recent Emergency Decree Laws with Respect to Freedom of the Media’. European Commission for Democracy Through Law (Venice Commission). Available online from: https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=CDL(2017)006-e [Accessed on 08/03/2022], pp. 3-4.

[ii] Decree-Law No. 679 (6th January 2017) ‘Measures Regarding Public Personnel’. Available online from: https://insanhaklarimerkezi.bilgi.edu.tr/media/uploads/2017/02/09/KHK_679_ENG.pdf [Accessed 08/03/2022], p. 1.

[iii] Jones, T. (2018) ‘Two Turkish Teachers End Almost 11-Month Hunger Strike’.  DW. Available online from: https://www.dw.com/en/two-turkish-teachers-end-almost-11-month-hunger-strike/a-42318478 [Accessed 08/03/2022]; Işık, A. (2017) ‘In Turkey, Hope for ‘Justice is Fading Away Just like my Muscles’’. DW. Available online from: https://www.dw.com/en/in-turkey-hope-for-justice-is-fading-away-just-like-my-muscles/a-39482207 [Accessed 08/03/2022].

[iv] Halavut, H. (2017) ‘Interview with Nuriye Gülmen: ‘I Have More Hope Today Than I Did on the First Day’’.  5 Harliler. Available online from: https://www.5harfliler.com/interview-with-nuriye-gulmen/ [Accessed on 08/03/2022].

[v] Ibid.

[vi] Ibid.

[vii] Ibid.; see also Gülmen, N. (2016) ‘DİRENİŞİN TALEPLERi’. Available online from: https://nuriyegulmendireniyor.wordpress.com/2016/11/08/basin-aciklamasina-cagri/ [Accessed on 08/03/2022]; see also Wikipedia (2022) ‘Nuriye Gülmen’. Available online from: https://en.wikipedia.org/wiki/Nuriye_G%C3%BClmen#cite_note-18 [Accessed 08/03/2022].

[viii] Ibid.

[ix] Ibid.; see also Amnesty International (2017) ‘Urgent Action: Fear for Hunger Strikers’ Wellbeing’. Available online from: https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2021/05/EUR4463402017ENGLISH.pdf [Accessed on 08/03/2022].

[x] Ibid.

[xi] ‘Urgent Action: Fear for Strikers’ Wellbeing’.

[xii] Cumhuriyet (2017) ‘Criminal Record of Gülmen and Özakça, Declared ‘Terrorists’ by Minister Soylu’. Available online from: https://www.cumhuriyet.com.tr/haber/bakan-soylunun-terorist-ilan-ettigi-gulmen-ve-ozakcanin-adli-sicil-kaydi-748105 [Accessed on 08/03/2022]; see also NTV (2017) ‘Statements by Minister Soylu about Semih Özakça and Nuriye Gülmen’. Available online from: https://www.ntv.com.tr/turkiye/bakan-soyludan-aclik-grevi-yapan-nuriye-gulmenle-ilgili-aciklamalar,Jg2i0I634EyPWqK_cXdIbg [Accessed on 08/03/2022]; see also Milliyet (2017) ‘The Unending Scenario of a Terrorist Organisation: “The Truth of Nuriye Gülmen and Semih Özakça”’. Available online from: https://web.archive.org/web/20170813220846/http://www.milliyet.com.tr/bir-teror-orgutunun-bitmeyen-senaryosu-ankara-yerelhaber-2179760/ [Accessed on 08/03/2022].

[xiii] ‘Urgent Action: Fear for Strikers’ Wellbeing’; see also ‘In Turkey, Hope for ‘Justice is Fading Away Just like My Muscles’.

[xiv] ‘In Turkey, Hope for ‘Justice is Fading Away Just like My Muscles’.

[xv] Armutcu, O. (2017) ‘The Constitutional Court Rejected the Appeal Against the Detention of Nuriye Gülmen and Semih Özakça’ Hurriyet. Available online from: https://www.hurriyet.com.tr/gundem/anayasa-mahkemesi-nuriye-gulmen-ve-semih-ozakcanin-tutukluluguna-yapilan-itirazi-reddetti-40503721 [Accessed on 08/03/2022]; see also Cakir, A. (2017) ‘ECHR Rejects Semih Özakça and Nuriye Gülmen’s Application’. Voice of America. Available online from: https://www.amerikaninsesi.com/a/aihm-semih-ozakca-ve-nuriye-gulmen-in-basvurusunu-reddetti/3969669.html [Accessed on 08/03/2022].

[xvi] Bianet (2017) ‘Nuriye Gülmen Released’. Available online from: https://bianet.org/english/human-rights/192100-nuriye-gulmen-released [Accessed on 08/03/2022].

[xvii] ‘Two Turkish Teachers End Almost 11-Month Hunger Strike’.

[xviii] Ibid.

[xix] Duvar English (2020) ‘Dismissed Turkish Academic, Known for Hunger Strike, Arrested Again’. Available online from: https://www.duvarenglish.com/human-rights/2020/08/11/dismissed-turkish-academic-known-for-hunger-strike-arrested-again [Accessed on 08/03/2022].

[xx] Yeni Bir Mecra (2020) ‘Critical Decisions in Eğitim-Sen: Nuriye Gülmen was Expelled’. Available online from: https://yeni1mecra.com/egitim-sende-kritik-kararlar-nuriye-gulmen-ihrac-edildi/ [Accessed on 08/03/2022].

[xi] Duvar English (2021) ‘Turkey’s Top Court Rules Dismissed Educators’ Rights Not Violated’. Available online from: https://www.duvarenglish.com/turkeys-top-court-rules-rights-of-dismissed-educators-nuriye-gulmen-and-semih-ozakca-not-violated-news-59436 [Accessed on 08/03/2022].

[xii] Ibid.

15. JULI 2016 INSZENIERTER PUTSCHVERSUCH PRESSEMITTEILUNG

Am 15. Juli 2016 wurde ein bösartig geplanter Putschversuch vorgespielt. Infolge des Putschversuchs spürte die ganze Gesellschaft rechtswidriges Vorgehen. Mit willkürlichen Dekreten wurden Menschen aus ihrer Arbeit entlassen, ihre Arbeitserlaubnis, Pässe und Abschlüsse wurden annulliert. Es wurden Massenverhaftungen vorgenommen und in Gefängnissen schwer gefoltert. Infolge dieser schweren Folter gab es viele Todesfälle und Selbstmorde. Viele Gefängnisse wurden überfüllt und viele unrechtmäßig verhaftete Verdächtige wurden in Einzelzellen gesetzt. Somit mussten viele aufgrund von Menschenrechtsverletzungen das Land verlassen. Die Flucht über die Ägäis und dem Fluss Mariza kostete leider vielen Menschen insbesondere Frauen und Kindern das Leben.

Erdogans Gier nach Macht, das Ziel Oppositionelle zum Schweigen zu bringen und der Wunsch alle Kontrollmechanismen in einer Person zu zusammenfassen führte zu massiven Unterdrückungen sowohl über die gesamte Gesellschaft als auch über Minderheitsgruppen.  Als Borken Chalk Plattform möchten wir weltweit alle Menschen auf die Folgen und Auswirkungen des Erdogan Regimes aufmerksam machen.

Mit dem am 15. Juli 2016 inszenierten Putschversuch, wandte sich das Erdogan Regime von der Demokratie, den Menschenrechten, der Rechtsstaatlichkeit, der Freiheit und Gerechtigkeit ab. Somit isolierte er die Türkei auf internationaler Ebene. Täglich erhöht das Erdogan Regime die Dosierung von Hassreden gegen die Menschen, die das Mosaik der Gesellschaft in verschiedenen Sprachen, Religionen, Rassen und Gedanken innerhalb des Landes bilden. Sie nutzt alle Möglichkeiten des Staates und der Medien um die Harmonie, Einheit, Integrität und den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu brechen. Statt die Interessen des Landes und der Menschen zu berücksichtigen, folgt er seinen eigenen Interessen. Um sein Regime am Leben halten zu können, kontrolliert bzw. unterdrückt Erdogan alle oppositionelle Ansichten insbesondere die, der Kurden, der Aleviten, der Liberalen und der Hizmet-Bewegung. Beispielsweise wurde und wird zur Hizmet-Bewegung über alle Wege sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene eine Lynchkampagne geführt.

Per Gesetzesdeskrete wurden mehr als 126.000 Menschen in allen Berufsfeldern aus öffentlichen Ämtern entlassen. Zehntausende Ärzten, Ingenieuren, Staatsanwälten, Richtern, Anwälten, Diplomaten, Wissenschaftlern, Geistlichen, Schriftstellern, Künstlern, Politikern, Geschäftsleuten, Sportlern, Akademikern, Lehrern, Studenten und den gebildeten Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft wurde das Recht auf Freiheit und Leben entzogen.

15 Universitäten, 1065 Gymnasien, weiterführende Schulen und Grundschulen, 980 Klassenzimmer, 848 Studentenwohnheime, die nach den geltenden Gesetzen geprüft und eröffnet wurden, wurden mit den Gesetzesverordnungen geschlossen. Mehr als 35.000 Lehrer und 30.000 Angestellte, die in diesen Bildungseinrichtungen arbeiteten, wurden entlassen. Somit hat sich eine Masse an Arbeitlosen gebildet. Jeder Einzelne wurde aufgrund der Gesetztesdekrete abgestempelt und konnte dadurch keine Beschäftigung mehr aufnehmen. Das gesamte Vermögen der entlassenen Mitarbeiter wurde beschlagnahmt. Darüber hinaus wurden diese Personen und ihre Familien zum sozialen Tod verurteilt, weil sie keine sozialen Rechte genießen durften. Gewerkschaften wie zur Entwicklung der Arbeitgeber im Bildungswesen (EKASEN), die Gewerkschaft der Bildung PAK und die Gewerkschaften der aktiven Pädagogen (AKTİFSEN) wurden geschlossen.

Zu fast allen Lehrern der geschlossenen Bildungseinrichtungen wurden die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation untersucht. Die Inhaftierten wurden Einzelzellen, Langzeithaft und rechtswidrigen Gerichtsverfahren unterzogen. Diese Praktiken sind demütigend und zerstörerisch, wobei das Ziel war ihren Ruf in der Gesellschaft zu zerstören. Außerdem wurden die Opfer gefoltert und misshandelt. Beispielsweise wurden Gefängniszellen, die normalerweise für 12 Personen geplant waren, mit 40-50 Personen besetzt. Diese Behandlungen sind ein Verbrechen gegen die Würde des Menschen und verletzt die Menschenrechte.

 

Nach Angaben des türkischen Innenministeriums leitete das Erdogan-Regime aufgrund von rechtswidrigem und faschistischem Druck eine gerichtliche Untersuchung gegen 511.000 Menschen ein, und mehr als 125.000 Menschen wurden aus der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festgenommen. Bis heute befinden sich mehr als 31.000 dieser Personen in Gefängnissen. Davon bilden rund 11.000 Frauen und 780 Babys und Kinder einen deutlichen Anteil.

Viele Menschen wurden von den Geheimdiensten der Türkei sowohl im Inland als auch im Ausland entführt und schwerer Folter ausgesetzt. Einige werden sogar aktuell vermisst. Darüber hinaus wurden Insassen mit schweren Krankheiten absichtlich nicht behandelt und medizinisch gefoltert. Beispielsweise wurden vielen Krebspatienten eine Ausreisesperre verhängt. Dadurch mussten viele kranke Menschen sterben.

Mit dem inszenierten Putschversuch und der unterdrückenden, polarisierenden, diskriminierenden Haltung des Erdogan-Regimes hat sich die Einheit und die Solidarität im Land verschlechtert. Das Vertrauen der Menschen gegeneinander und gegenüber dem Staat ist verloren gegangen. Unschuldige Menschen, deren Pässe beschlagnahmt und ein Ausreisesperre verhängt wurden, mussten das Land verlassen. Sie mussten in Hoffnung auf ein freies und demokratisches Leben in europäische Länder flüchten. Dabei kamen leider viele Menschen ums Leben.

Die Vereinten Nationen, den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, die Europäische Union, die Politiker, alle Medienorganisationen und allen Völkern, bitten wir deshalb auf die in der Türkei stattfindende Verfolgung, die diktatorische Haltung, die Diskriminierung und Unterdrückung des Erdogan-Regimes, und auf deren Folgen und Auswirkungen hinzusehen und Verantwortung zu übernehmen. Wir sind fest davon überzeugt, dass Rechtsstaatlichkeit nur durch gemeinsame Solidarität erreicht werden kann.

Als Broken Chalk Platform hoffen wir mit Geduld auf den Tag, an dem alle Verantwortlichen für die Rechtswidrigkeiten, die seit dem 15. Juli 2016 entstanden sind, vor fairen Gerichten verurteilt werden. Wir werden weiterhin die Stimme aller Ungerechtigkeiten und unschuldigen Menschen sein, und mit den Opfern zusammenhalten.

13-07-2020

Broken Chalk

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